Die Bahnreise ist das Ziel… མེ་འཁོར། རྒྱ་ནག

Gepostet am Dez 30, 2013 in Alle Berichte, Asien, China, Geschichten sind Speisen für's Ohr.., Tibet | Keine Kommentare

Die Bahnreise ist das Ziel…         མེ་འཁོར། རྒྱ་ནག

Vom autonomen Gebiet Tibets

in das unfassbar riesige und vielfältige China

Von Lhasa nach Xi’an 西安

[Weihnachten 2013: 24.-25. Dezember]

Ein Artikel in einem GEO-Journal von ungefähr 2004 liess mich erstmals vom Bau dieses unglaublichen Bahn-Projekts hören und faszinierte mich anhin. Deshalb waren wir beide voller Vorfreude, als wir mittags des 24. Dezember mit unseren Rucksäcken den Zug T166 in Lhasa betraten, welcher uns in 33 Stunden über das tibetische Hochplateau nach Xi’an, China bringen sollte.

Die Qinghai-Tibet-Bahn führt von der Hauptstadt Lhasa des autonomen Gebietes Tibet, des „Dachs der Welt“ über eine Strecke von knapp 2000km nach Xining, in die Provinz Qinghai. Beinahe 1000km verlaufen in Höhen von über 4500m, von Lhasa bis Golmud. Zum Antrieb werden hier Diesellokomotiven eingesetzt, währenddem die Bahn von Golmud nach Xining elektrifiziert ist.

Unterwegs querten wir beinahe unbemerkt die Tanggula-Passhöhe, obwohl wir quasi an dem Zugfenster klebten – mit 5072m der für uns 4., passiv erreichte 5000er-Pass in Tibet. Dieser Scheitelpunkt brachte den Weltrekord der höchstgelegenen Bahnstrecke der Erde und kennzeichnet die Grenze Chinas zum autonomen Gebiet Tibet. Am höchstgelegenen Bahnhof der Welt, Tanggula auf 5068m wollten wir unbedingt aussteigen und hatten zuvor bereits unsere Daunenjacken angezogen. Doch zu unserer Enttäuschung hielten wir nicht. Der Norden Tibets, der der Changtang-Provinz angehört, gehört zu den lebensfeindlichsten Gebieten der Welt und ist kaum bevölkert, daher dient dieser Bahnhof wohl kaum als Destination.

Die Fahrt von Lhasa bis zum Einbruch der Dunkelheit war die landschaftlich reizvollste Strecke, obwohl das Bild von einer wüstenbeigen, leblosen und schier endlosen Ebene, durchzogen mit einzelnen sehr hohen Gebirgszügen, geprägt war. Doch wie bereits Charles Darwin auf seiner Reise durch die endlosen Steppen Patagoniens schrieb, bekommt unterwegs im Nichts das Wenige alle Aufmerksamkeit, so wie der Schneehase, welcher ein paar Meter neben der Eisenbahn-Trasse zusammengekauert liegen bleibt, die Ohren wohl wegen des heranbrausenden Zuges in die Höhe gestellt. Oder die grossen Yak-Herden mit ihren massigen Körpern, überzogen von einem schwarzen, dicken Wollfell, welches beinahe den Boden berührt und einer charakteristischen, weissen Färbung des Kopfes. Die unglaubliche Spezialisierung der Yaks an eine sehr lebensfeindliche Umgebung fasziniert uns ein weiteres Mal und die dunklen Tierkörper in der öden Umgebung bieten eine stets willkommene Abwechslung. Am meisten werden wir überrascht von der Entdeckung eines antilopen-ähnlichen Tieres mit ca. 80cm langen, geraden und zum Himmel empor steigenden Hörnern, welche denen der in Sandwüsten lebenden Antilopen sehr gleichen. Später finden wir heraus, dass die Tibetantilope in Höhen von 3200 – 5500m lebt und aufgrund ihres wertvollen Fells vom Aussterben bedroht ist. Natürlich wurde das nachfolgende Bild nicht von uns geknipst, der Zug war zu schnell und die Fensterscheiben zu staubig…

350-HI_279156-Tibetantilope-_c_-naturepl.com-George-Chan-WWF-Canon

Natürlich gibt es beim Blick durch das Zugfenster nicht nur schöne Bilder zu sehen. Wie überall auf der Welt ist auch hier der Eingriff durch Menschenhand nur zu deutlich zu sehen. Die Chinesen haben vor allem den Osten weitgehend abgeholzt, wobei sie inzwischen die Auswirkungen zu spüren bekommen haben und in einigen Gebieten Reforestationsprojekte starteten. Ausserdem hat sich die tibetische Bevölkerung in den letzten 50 Jahre mehr als verdoppelt. Nach wie vor leben die meisten TIbeter, heutzutage 85% von Landwirtschaft & Viehzucht. Die nomadischen Bauern- und Hirtenfamilien haben wohl die verbliebenen Sträucher als Feuerholz genutzt, die grossen Huftier-Herden zerstören die ohnehin beschränkte Vegetation auf diesem Hochplateau. In den letzten 25 Jahren soll sich die Fleischproduktion vervierfacht haben. Natürlich ist die Produktion von Nahrungsmitteln in diesen Höhen sehr beschränkt. Die Hauptnahrung besteht aus dem salzigen Buttertee aus Yak-Milch hergestellt, zusammen mit dem gerösteten Gersten-Vollkornmehl ergibt sich Tsampa, ein Teig und natürlich gehört (allem voran Yak- und Ziegen-) Fleisch meist zu jeder Mahlzeit. Gemüse und Früchte werden heutzutage aus den umliegenden Ländern in die Städte importiert.

Unterwegs sehen wir unterschiedliche Massnahmen, wie der Erosion durch Wind und Wasser zu trotzen versucht wird. Mit Steinen wurden kleine quadratische Felder gemacht, andernorts sind grüne Netze in Quadratform angelegt, damit die Entstehung von Dünen verhindert werden kann. Im Winter scheint es auf dem gesamten tibetischen Hochplateau kein Wasser in flüssiger Form zu geben. Eine Begebenheit, die uns immer wieder staunen lässt. Bäche, Flüsse und grössere Sehen sind zugefroren, haben ein naturkünstlerisches Muster zurückgelassen – die Gewässer sowie die Natur insgesamt scheint sich für ein paar Monate eine Auszeit genommen zu haben. Vor allem die (Wind-) Erosion in diesem Gebiet ist erschreckend und hinterlässt in uns einen bleibenden Eindruck.

Bau der Qinghai-Tibet-Bahn
Der Bau der Bahn stellte vor allem zwischen Lhasa und Golmud besondere Herausforderungen an die Ingenieure, denn ein Viertel wurde auf Permafrostboden gebaut. Dieser Boden taut im Sommer kurzzeitig oberflächlich auf, ohne dass er durch Vegetation stabilisiert wird. Das Wasser kann in dem in der Tiefe weiterhin gefrorenen Boden nicht versickern, an der Oberfläche bildet sich eine feuchte Schicht, in die der Oberbau sich horizontal bewegend einsinken würde. Aus diesem Grund wurden verschiedene Techniken entwickelt, um das durch die Klimaerwärmung gegebene Auftauen zu verhindern. An kritischen Streckenabschnitten wurden mit Ammoniak gefüllte Stahlrohre in den Boden gebohrt, welche drei Meter aus der Erde ragen. Das flüssige Ammoniak verdunstet im unteren Bereich der Röhre, entzieht dadurch dem Permafrostboden die (Wärme-) Energie und hält ihn kühl. Der Ammoniakdampf steigt in der Röhre auf und gibt an deren oberen Ende seine Wärme an die Atmosphäre ab, wird dabei wieder flüssig und fließt nach unten. Denn im Bereich des Permafrostbodens liegt auch im Sommer die Lufttemperatur unter dem Gefrierpunkt. Ausserdem wurden die Bahngleise auf einer relativ stark erhöhten Trasse von grob behauenen Steinbrocken errichtet. Der Dauerwind auf dem Hochplateau bläst durch die Ritzen und hält den Boden kalt. Der Permafrostboden soll allerdings aufgrund der globalen Erwärmung in den nächsten 50 Jahren um ein Drittel zurückgehen und weitere Hürden an die Erbauer stellen.

Unterwegs in diesen endlosen Weiten, am Horizont stets die schneebedeckten Berge, wohl allesamt 5000er bis 7000er, lassen zumindest im Moment trotz Weihnachten kein Heimweh aufkommen. Auf der meist schnurgeraden Bahn-Trasse bei voller Fahrt mit ca. 100km/h kann sogar ich lesen und schreiben – eine neue Dimension des Reisens!

Später am Abend füllen wir die chinesischen Nudelsuppen-Behälter mit heissen Wasser und sind mit unserem Heiligabend-Essen eigentlich recht zufrieden, solange wir nicht daran denken, dass uns zu Hause ein Festtagsessen und insbesondere eine gemütlichere Athmosphäre erwarten würde. Doch sind wir mit unseren Abteil-Gspändli – 4 junge Chinesen – zufrieden. Wir teilen unseren Proviant – von ihren vielfältigen Fleischspezialitäten wie Spicy Chicken Feet lassen wir unsere Finger. Sie scheinen ein bisschen auf uns aufzupassen, helfen beim Erwerb von Getränken und Essen. Wir lernen, wie sie einhändig von 1-10 zählen, um zumindest nonverbal der chinesischen Sprache etwas näher zu kommen. Wie wir herausfinden, leben sie alle in der Nähe von Xi’an, unserer Enddestination nach der 33-Stunden-Fahrt. Sie ärgern sich sehr, dass sie nur wenige Worte englisch sprechen und uns nicht mehr über ihr Land und ihre Stadt erzählen können. Alle über einer Karte gebeugt, erklären wir ihnen unsere in Asien bisher zurückgelegte Reisestrecke, währenddem sie alle mit erstaunten Gesichtern zuhören.

Bevor sich Räphu auf seinem Hardsleeper-Bett hinlegte, montierte er seine Ohropax, um ja nicht in seinem wertvollen Schlaf gestört zu werden. Was er dabei nicht bedacht hatte: nachts sanken wir in ein paar Stunden um fast 3000 Höhenmeter. Als er morgens die Ohropax entfernte, war er beinahe taub, nach dem Druckausgleich ertönte ein lautes Pfeifen in seinen Ohren. Soweit bisher zu beurteilen ist, scheint er von diesem Faupaux keinen bleibenden Schaden genommen zu haben.

 

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