Mont Vélan sur l’arête de la Gouille

 

Eine abenteuerliche Tour hinter dem Gran Combin Massiv

[23-24. Juli 2015]

Während der Planung für die Tour auf das Silvrettahorn und den Piz Buin vor rund 3 Jahren lag ein Vorschlag für eine Tour auf den Mont Vélan auf dem Tisch. Inspiriert durch ein Buch über Gletscher in der Schweiz, setzten wir das Projekt auf Eis, wie sich aber nun zeigt, nicht für lange Zeit. Wir mögen die Romandie und die Menschen dort ganz besonders. Die Lebensart und der Umgang miteinander erscheinen uns ganz anders, aber im positiven Sinne. Hier sind sich die Menschen irgendwie näher und sprechen miteinander, ganz besonders in den Bergen. Ich mag, wenn man einander „bon courage“ zuruft und freundliche Worte austauscht, oder einander interessiert über die Ziele des Tages ausfragt und assozierte Geschichten aus dem Bauch heraus erzählt.

So haben wir uns bei etwas zweifelhafter Wetterprognose, aber doch ziemlich zuversichtlich dazu entschieden, den Mont Vélan über die Arête de la Gouille zu besteigen. Das Unterwallis ist für uns Berner Oberländer seit der Vollendung des Neat Basistunnels zwischen Frutigen und Raron keine Weltreise mehr, denn in nur 30 Minuten Zugfahrt standen wir in Visp auf Gleis 5 bereit zum Umsteigen nach Martigny. Trotzdem zieht sich eine Reise bis fast auf den Col de Grand Saint-Bernhard in die Länge. Gleichwohl entschieden wir uns zu Gunsten von etwas mehr Schlaf für eine späte Abreise im Wissen darum, dass der Hüttenzustieg zur Cabane du Vélan ausgehend von Bourge-St-Pierre nur rund 3 Stunden in Anspruch nehmen würde. So erreichten wir um 14:20 Uhr via Martigny, Sembrancher und Orsière – letztere Orte befinden sich im Val Entremont – endlich mit dem Bus Bourg-St-Pierre.

Die Wanderung zur Cabane du Vélan entpuppte sich als einsamer Aufstieg durch den unteren Verlauf des Valsorey. Einzig begegneten uns drei Mönche im Abstieg und eine französische Kleinfamilie. Bereits nach rund einer Stunde konnten wir erste Blicke auf den Mont Vélan und den in Wolken gehüllte Grand Combin einfangen. Die Valsorey – der das Valsorey entwässernde Bergbach (Torrent de Valsorey) – führte enorme Wassermengen ins Tal. Dem Wanderweg folgend bis rund 2030m ü.M., verengt sich das Valsorey auf Grund von beidseitig abfallenden Felsbändern und die Valsorey fällt dort wild über Stufen in den unteren Talbereich. Dort gelangten wir über einen stählernen Steg zum südlichen Ufer. Das Weglein steigt danach ruppig über ein paar 10 Meter über eine Felsstufe. Auf dem Kulminationspunkt erhält man einen Einblick auf einen durch einzelne Bachläufe strukturierten Zwischenboden und die dahinter Süd-nach-Nord sich hinziehende Seitenmoräne des Glacier du Tseudet. Diese Moräne erklommen wir wenige Minuten später im Zick-Zack angelegten Weg zur Cabane du Vélan. Auf der Moräne eröffnet sich ein unwahrscheinlich schöner Blick auf die Gletschervorfelder und die imposanten Moränenverläufe des Glacier de Valsorey und des Glacier Sonadon nördlich vom Glacier du Tseudet. Das relativ junge Gletschervorfeld des Valsorey ist von seiner Art her von nationaler Bedeutung, ist es auf Grund seines geringen Alters noch kaum von Vegetation überzogen. Alle drei Gletscher – Sardona, Valsorey und Tseudet – waren noch bis 1920 miteinander verbunden [2011, 1. Auflage: C. Käsermann, A. Wipf.: Gletscher der Schweiz].

Der Mont Vélan wird in der Regel über den Normalweg, welcher über den Glacier du Tseudet und über den Col de Gouille auf den Glacier de Valsorey und über letzteren bis auf den Gipfel führt, erstiegen. Seltener, weil auch etwas schwieriger und in der Regel aber lohnender kann man vom Col de la Gouille den zwar etwas brüchigen und teils luftigen Grat als schöne Alternative für die Gipfelbesteigung unter die Füsse und Hände nehmen. Andere Routen werden vor allem als Skitouren auf den Gipfel unter die Felle und Steigeisen genommen. Die meisten davon sind bedeutend schwieriger und führen über die Südseite hoch (Couloir Hannibal, Couloir Y etc.).

Der Arête de la Gouille ist der felsige Nordostgrat des Mont Vélan der mit dem Mont de la Gouille verbunden ist. Der Mont de la Gouille selbst war wohl vor Jahrhunderten, als die Gletscher noch weit runter ins Tal flossen ein Nunatak, mutmasslicherweise ragte seinerzeit nur dessen Spitze aus dem Eis hervor. Der Mont Vélan selbst liegt nur einige Kilometer süd-südwestlich vom überragenden Grand Combin mit seinen stolzen über 4300m ü.M. Im Unterschied zu seiner Nordfront besteht der Südteil des Grand Combins Massivs allerdings aus steil abfallenden dunkeln Felswänden. Der Vélan ist ein klassischer Grenzgipfel, dessen südliche Flanke steil nach Italien und damit ins Aostatal abfällt. Die nördliche Seite des Vélans ist durch mittelgrosse, glazial geformte Täler geprägt. So fliesst der Glacier de Valsorey über mehrere steile Abbrüche ins Valsorey. Im unteren Bereich legte der starke Gletscherrückgang der letzten Jahrzehnten immense Seitenmoränen frei. Auch der sehr stark zurückgehende Glaciere du Tseudet, der eher nordwestlich Richtung Cabane du Vélan „fliesst“, scheint besonders stark abzuschmelzen und dieser leidet zudem an einer sehr starken Zuschüttung von Erosionsmaterial, dass vom Arête de la Gouille und des Vélans selbst täglich runterdonnert. Neben den beiden erwähnten Gletschern entwässert noch der Glacier du Sonadon und der bald vernachlässigbare Glacier du Meitin ins Valsorey.

Bei der futuristisch wirkenden Cabane du Vélan handelt es sich um eine erst 1992 gebaute SAC Hütte, die durch den Architekten Michel Troillet von Martigny geplant wurde. Sie ersetzte die nur ein Jahr zuvor abgebrannte alte Cabane du Vélan. Sobald man allerdings ins Innere der Hütte gelangt, erscheint sie sehr heimelig, zumal ihr Inneres aus angenehmem Holz eine gemütliche Atmosphäre verbreitet. Die Zimmer sind mit doppelstöckigen Betten wohl proportioniert und bieten genügend Platz für eine geruhsame Nacht.

 

Geologie – Penninikum – ein labil steiniger Untergrund

Das Val d’Entremont wird bei Orsière südwestlich in ein zweites grösseres Tal – ins Val Ferret aufgetrennt. Das Val d’Entremont, dass sich in südlicher Richtung bis auf den Col du Grand Saint-Bernhard zieht, wird geologisch gesehen den penninischen Decken zugeordnet. Die Geologie des Gebiets Champex-Entremont zeigt fast alle grossen geologischen Formationen der Alpen auf. Entremont ist – wie es der Name schon fast aussagt – Trennbereich zwischen dem helvetischen Sockel bei Champex, bestehend aus Granit, gefolgt von Sedimenten, bzw. kalkig-mergeligen Schichten der helvetischen Decken im Bereich Orsière und Val Ferret. Weiter östlich, das Val d’Entremont aufwärts, folgt eine erste Einheit penninischer Schichten aus Glimmer und Kalkschiefer, aufgestockt durch den penninischen Sockel, der im Bereich unterhalb Bourg-St-Pierre bis Liddes aus Schiefer des Karbons besteht. Im oberen Bereich zwischen Valsorey und Grand Saint Bernhard besteht der Sockel aus alten Gneisen und Glimmerschiefern. Das Gestein im Bereich Mont Vélan ist brüchig, einerseits auf Grund des relativ hohen Alters, aber auch durch seine ganzheitliche glaziale Prägung in der Zwischenzeit.

 

Mont Vélan über die Arête de la Gouille 

[24. Juli 2015]

Wir waren die einzigen Besucher in der gemütlichen Cabane du Vélan und begannen unsere Tour ebenso einsam um 04:40 Uhr. Der Weg führte uns südsüd-östlich der Wasserzuleitung von der Cabane du Vélan Richtung mittlerer Gletscherbereich des Glacier du Tseudet entlang des Nordwestgrates des Mont Vélans. Die Moräne, die im unteren Bereich überaus Steil auf den Gletscher abbricht, verflacht sich im oberen Teil auf den Gletscher, weshalb der Abstieg auf den Glacier du Tseudet keine Probleme verursachte. Ab und zu machten wir im unwegsamen Gelände einen Steinmann aus und bewegten uns, sobald wir auf dem mit Schotter übersäten Gletscher waren, in Richtung Mont de la Gouille. Die Steigeisen blieben im Rucksack, da uns der Schotter den erforderlichen Halt bot. Bei der ersten Steilstufe des Glacier du Tseudet unterhalb des Mont de la Gouille in Richtung Col de la Gouille entschieden wir uns auf Grund der Steilheit (um die 40°) für den Aufstieg im Schotter links, also nördlich des Gletschers. Der Gletscher ist im unteren Bereich total aper und seine Steilheit ist hier gerade so gross, dass eine Begehung sehr mühsam wäre. Der Aufschwung mit der Umgehung bis ca. in die Mitte des Steilstücks erschien uns daher sinnvoll. Auf einem von Steinen übersähten Zwischenteil seilten wir an und stiegen auf dem aperen Gletscher den oberen, nur gering weniger steileren Bereich hoch. Beim Gehen mit Steigeisen in so steilem Gelände muss man einen „Knick“ in die Knöchel machen, sodass möglichst viele Zacken der Steigeisen das Eis berühren. Gerade oberhalb der Steilstufe erreichten wir weichen Firn, der uns im Zick-Zack zum Einstieg in die mit einer Leiter und Ketten versicherte Wand, die uns ohne Probleme zum Col führte. Sarah stieg vor und sicherte mich ab und zu. Oben angekommen, zeitgleich mit der aufgehenden Sonne, die etwas östlich des Combin de Crafeneire 4314m hervortrat, genossen wir den Blick auf die wunderbare Gebirgslandschaft. Es war ein wunderbarer Moment!

 

Auf dem Col de la Gouille - ein wahrhaftig schöner Moment

Auf dem Col de la Gouille – ein wahrhaftig schöner Moment

Am Col de la Gouille erhielten wir so zum ersten Mal Einblick in den bis zum Einstieg zum Col (auf der Seite Valsorey) immer noch zugeschneiten Glacier de Valsorey und seinen riesigen unteren Abbruch. Nach ein paar Minuten richtete sich aber unsere Aufmerksamkeit auf den Arête de la Gouille, der sich in mehreren Auf- und Abschwüngen emporwindet, empor in zwei Richtungswechsel zum Gipfelgletscher des Mont Vélan. Wir stellten fest, dass der Grat eine beachtliche Distanz aufweist. Somit zogen wir am mittellangen Seil (ca. 7- 8m) freudig los und stellten bald einmal fest, dass der Grat auf seinen Seiten, denn ab und zu kann man in die Seiten ausweichen, am besten auf seiner Gratschneide erklettert wird. Denn nur da ist der Fels einigermassen hart und viel weniger brüchig, im Vergleich zu seinen Abhängen. So erstiegen wir – immer auf der Suche nach dem für uns richtigen „Weg“ – den Grat. Einige etwas herausfordernde Passagen erforderten bereits auf den ersten Metern die Konzentration, denn oftmals ist insbesondere die westliche Seite des Arête de la Gouille ziemlich ausgesetzt. Die östliche, dem Glacier de Valsorey zugewandte Seite ist noch viel brüchiger, durchzogen durch einen hohen Glimmeranteil im bis fast teilweise sandigen Schiefer. Auf dem Grat selber befinden sich die etwas weniger stark in den Erosionsprozess bezogenen Gneise (Metaorphite), an denen sich gut mit dem Seil selbst sichern lässt. Nach ca. 40 Minuten erreichten wir eine ausgesetzte Passage, wo sich der Arête de la Gouille abwärts richtet. Beim Abklettern zuerst in Richtung des Glacier de Valsorey, danach direkt in Gratrichtung, fanden wir einen Borhaken mit einem Maillon, wo ich Sarah beim Abstieg sichern konnte. Die Tritte und Griffe sind für kleinere Berggänger ziemlich weit auseinader. Danach gelangten wir zu einer Ketteneinrichtung, wo wir realtiv gut abklettern konnten.

Jetzt standen wir in einer tief eingekerbten, stark erodierten Verschneidung. Wir liessen uns durch die fast vertikale Gratkante abschrecken und drehten in die Nordostwand dieses Aufschwungs, dessen Erklimmung sehr, sehr, sehr brüchig und meiner Meinung nach objektiv gefährlich ist. Der lose Stein hielt so gut wie nie. Wir stiegen vorsichtig, manchmal abtretend wie auf rohen Eiern diesen doch ca. 100 Hm hohen Aufstieg hoch, bis wir auf einen relativ breiten Gratteil zum verschnaufen gelangten. Von dort kann man den Gipfelfirn und die restlichen Felspartien, die dann relativ leicht überwunden werden können, sehen. Die weitere Route führt direkt nach Süden mit einer Drehung auf der mässig steilen Firngratschneide, die nicht ausgetreten ist. Ein schöner, wenn auch sehr mühsamer Aufstieg durch den teilweise sehr durchnässten Schnee. Auf den ersten 30m nach dem Fels muss man ein paar ganz tükische Spalten überwinden, die zwar zugeschneit aber bei den wirklich durchnässten Bedingungen nicht in ihrer Gefährlichkeit zu unterschätzen sind. Etwas vor 10.00 Uhr erreichten wir etwas erschöpft – es war wirklich eine anstrengende Tour – den Gipfel des Mont Vélan. Es herrschte eine mit leichten Wolken durchzogene, aber wundervolle Sicht Richtung Westen zum Mont Blanc, dessen südöstliche Flanke vollkommen in dicke Wolken gehüllt war, aber dessen weisse Spitze daraus heraus ragte. Der Grand Combin besass, wie den ganzen Tag bereits eine Wolkenhaube und die Aussicht ins Valsorey lud ebenfalls zum Staunen ein.

jupiii, wir sind nach gut 5h oben angekommen, hinten sieht man den Mont Blanc

jupiii, wir sind nach gut 5h oben angekommen, hinten sieht man den Mont Blanc

Leider zogen rasch dunkle Wolken vom Aostatal empor und hüllten uns bereits auf dem Gipfel im Intervall weniger Minuten immer wieder in mehr oder weniger dicken Nebel ein. Mir wird immer etwas Angst und Bang bei solchen Momenten, wobei ich jeweils vehement zum Weitergehen animiere. So machten wir uns auf den Abstieg, doch wo durch? Auf der Karte meinte ich beurteilen zu können, dass man direkt auf dem Glacier de Valsorey absteigen kann. Doch dieser obere Gletscherabschnitt erschien uns im aperem Zustand zu steil zum runterlaufen. Hinzu kommt, dass im wieder abflachenden Bereich erhebliche Spalten die Gletschertraversierung zunehmend erschweren. Wir entdeckten allerdings bei genauerer Betrachtung Fussspuren, die auf den Steingrat Richtung Dents de Vélan führten und folgten diesen. Nach einigen Metern folgte ein Abstieg über sehr loses und steiles Geröll durchsetzt mit sandigen Passagen. Der Abstieg mit genügend Vorsicht und dem Überspringen einer grösseren in Schnee gehüllten Spalte gelang dann aber relativ gut. Danach folgten wir mehr oder weniger der Landesgrenze CH/IT und drehten unterhalb des Col des Chamois zurück Richtung Col de la Gouille. Der Glacier de Valsorey stellte sich als nicht zu unterschätzende Abstiegsroute heraus. Dies hängt mit den prekären Bedingungen des Gletschers mit zwar relativ viel Schneeauflage, aber sehr tükischen Spalten mit zweifelhaften Brücken zusammen. Der beschriebene Abstiegsweg der Grenze entlang bis zum Col des Chamois entsprich nicht der genauen Routenvorgabe des Hochtourenführers [2002, 3. Auflage: Biner, Hermann: Hochtouren Wallis. Vom Trient zum Nufenenpass]. Wir meinen aber, dass dies im Moment jedenfalls die sicherste Variante darstellt. Abstieg danach auf selbem Weg, wie Aufstieg.

schöne Stimmung - eine Schlechtwetterfront ist im Anmarsch

schöne Stimmung – eine Schlechtwetterfront ist im Anmarsch

 

Der Mont Vélan ist ein sehr schöner Berg eingebettet in wunderbares alpines Gelände mit einzigartigen Gletschervorfeldern des Valsorey. Das Gebiet wird – dies ist unser Eindruck – zu unrecht selten besucht. Fern ab der Moderouten um Zermatt, Saas Fee und Mont Blanc-, oder Jungfraugebiet. Nicht zu letzt macht dies eine Besteigug wie diese umso lohnenswerter. Das einzige menschliche Signal, dass wir während der Tour gesehen haben, waren aufflackernde Stirnlampen um etwa 05.00 Uhr, irgendwo in der Südwand des Grand Combin.

Valsorey au revoir et bon courage!

 

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