Überschreitung Fletschhorn und hinterrücks auf’s Lagginhorn

Gepostet am Sep 16, 2014 in Alle Berichte, Europa, Geschichten sind Speisen für's Ohr.., Hochtour, Klettern I-III, Mountains, per pedes, Schweiz, Wallis, Wandern T4+ | 1 Kommentar

Überschreitung Fletschhorn und hinterrücks auf’s Lagginhorn

Eine fantastische Tour – Überschreitung zweier Gipfel in der Weissmiesgruppe

[17.08.-18.08.2014] Nun sitzen wir bereits wieder in der warmen Stube – erfüllt, überaus glücklich und wieder geerdet vom Erlebten. Wir haben uns gefordert, gegen die bissige Kälte und den starken Westwind angekämpft und dabei unsere „Komfortzone“ verlassen. Dennoch konnten wir meist die atemberaubende Aussicht geniessen, ohne mögliche Wetterumschwünge – die uns in dieser Saison ansonsten in hohem Ausmass begleiteten – fürchten zu müssen. Möglicherweise oder sehr wahrscheinlich war es bereits das Tourenhighlight der Saison – sicher aber eine überaus würdige Tour!

Die Überschreitung von Fletschhorn und Lagginhorn haben wir von langer Hand minuziös geplant. Jedes erdenkliche Hilfsmittel haben wir dazu verwendet, Fotos beäugt, jeden Hinweis vom Nordgrat des Lagginhorns genaustens studiert und uns auf diese Tour vorbereitet. Als wir dann am 28./29. Juli „parat“ waren, konnten wir ein starkes Niederschlagsereignis in dieser Region nicht ignorieren. Unsere Alternativtour führte uns zwei Tage ins Urbachtal auf den Gauligletscher und wir versuchten uns am Rosenhorn im Berner Oberland (siehe hier). Als es in den letzten Tagen wieder einmal nach etwas trockeneren und sonnigeren Bedingungen aussah, konnten wir nicht anders, nahmen die Tourenplanung wieder hervor und beschlossen kurzerhand, uns auf den Weg in’s Wallis zu machen. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben!

von Kreuzboden zur Weissmieshütte SAC

[17.08.2014] Nach nur einer knappen Stunde Aufstieg fanden wir uns am Sonntag Nachmittag bereits in der Wiese vor der Weissmieshütte liegend wieder. Uns erholend vom Wochenende, sinnierten wir über Vergangenes und aber vor allem über das nahe Bevorstehende – unsere Tour am Folgetag. Das Wetter zeigte sich von der schönsten Seite. Wann hatten wir diesen Sommer schon dieses Privileg geniessen können, am Nachmittag festzustellen, dass wir am kommenden Tag in den Bergen bei stabilem und sonnigen Wetter eine Tour ohne Wetterstress angehen können. Nach kurzer Rekognoszierung des Zustiegs zum Tälligletscher über die östliche (linke) Seitenmoräne, verbrachten wir einen gemütlichen Abend in der aber fast vollen Weissmieshütte.

Nach dürftigem Schlaf waren wir am Morgen die ersten, die etwa um 04.20 Uhr die Hütte verliessen. Die Moräne und den Gletscher über viel Schutt fanden wir trotz Dunkelheit und Nebelresten sehr gut. Unsere Intuition vermochte uns gut zu leiten und bald überwanden wir die Nebelobergrenze irgendwo im Blockgelände am rechten oberen Rand des Tälligletschers (nördlich davon). Der Gletscher ist zu einem grossen Teil durch Felsblöcke und Steine bedeckt. Im Einstieg auf’s Gletscherfeld zogen wir Klettergurte und Helm an, liessen aber die Steigeisen und das Seil verpackt. Im oberen Bereich, etwa auf Höhenlinie 3400m ü.M., zogen wir die Steigeisen an, seilten an und stiegen auf hart gefrorenem Firn bei besten Bedingungen unterhalb des Felsbandes hoch und erreichten nur Minuten später den Frühstücksplatz des Fletschhorn Westgrats, der in den Jegigrat mündet. Der steile und oftmals vereiste Firnhang unterhalb des Frühstücksplatz – die Schlüsselstelle der Tour aufs Fletschhorn, bereitete uns keine Schwierigkeiten. Dies dürfte aber stark von den Bedingungen abhängen, die uns gut gesinnt waren. In jedem Fall ist beim Hochsteigen zwischen 3100m ü.M. und 3440m ü.M. auf potentiellen Steinschlag zu achten. Ab hier befindet man sich in der Nähe des Vorgipfels des Fletschhorns. Auf der Normalroute steigt man aber nicht direkt hoch, sondern quert zuerst den Grüebugletscher.

Fletschhorn 3985m ü.M.
Das Fletschhorn ist ein erhabener Berg, der einige schöne Grate sternförmig in fast alle Himmelsrichtungen zu Tale führt. Es entsendet zugleich mehrere Gletscher vom Gipfel in die mittleren Höhen seiner Gestalt, darunter der gleichnamige Fletschhorngletscher, der das Lagginhorn vom Fletschhorn trennt. In westsüdlicher Richtung führt der grössere Grüebugletscher einige Abbrüche und viel Eis in die Niederungen. Darunter bildete der auch stark abschmelzende Gletscher im Bereich seiner Zunge einige kleine Gletscherseen. Der imposanteste Gletscher führt wohl vom stark verwechteten Gipfelgrat des Fletschhorns direkt nordöstlich seine steil abfallende Wand in den Rossbodegletscher Richtung Simplonpass. Den Blick von der Simplonpasshöhe vergesse ich nie und achte mich immer wenn ich da stehe. Immer und immer wieder denke ich mir: Wie kann man da nur hochsteigen?

Die Normalroute (WS, 4h von der Weissmieshütte) führte uns vom Frühstücksplatz (Pkt. 3527) relativ stabil in der Höhe mehr oder weniger nördlich, danach leicht rechts drehend in Richtung des oberen Nordwestgrats des Fletschorns. Unterhalb des Eisabbruchs stiegen wir schnelleren Schritten hoch und erreichten aber bald über einen steilen Bergschrund den Grat. Ab hier wurden wir vom böigen Westwind geplagt. Wir verkürzten das Seil, zogen Handschuhe und Mütze an, stiegen sukzessive auf dem Grat hoch und erreichten bald, um ca. 08.00 Uhr den Gipfel (3.5h). Ein wunderbarer Blick in alle Himmelsrichtungen zauberte uns trotz Kälte ein grosses Lächeln ins Gesicht. Unser Blick fixierte aber anstelle der schönen Berge im Berner Oberland und der Aussicht auf die Monte Rosa sowie die Mischabelgruppe das gegenüberliegende, herausragende Exemplar eines Nordgrates, dass uns so richtig in den Bann zog: Der Nordgrat des Lagginhorns!

Lagginhorn Nordgrat vom Fletschhorn 3984.9m ü.M. aus gesehen.

Lagginhorn Nordgrat vom Fletschhorn 3984.9m ü.M. aus gesehen.

Wir besprachen uns kurz mit der ankommenden Zweierseilschaft aus Italien und kamen zur Entscheidung, dass wir den Grat bei den aktuellen Bedingungen in Angriff nehmen konnten.

Lagginhorn 4010m
Das Lagginhorn ist der zweithöchste Berg in der Weissmiesgruppe und weil es die „magische“ Grenze der Höhenlinie 4000m ü.M. überschreitet, wird es im Vergleich zum nur 25m tiefer gelegenen Gipfel des Fletschhorns um einiges mehr bestiegen. Wenn man die Normalroute betrachtet zu unrecht, wie wir meinen! Die Besteigung des Lagginhorns über die Normalroute (WSW-Grat) ist verhältnismässig einfach, kann aber unter den am Berg je nach Bedingungen bestehenden Verhältnissen unangenehm sein. Der Gipfel des Lagginhorns steht auf  zwei ausgeprägten Graten, die sich von Norden nach Süden ziehen. Auf dem Gipfel herrschen enge Platzverhältnisse. Im Norden mündet der Grat in’s Fletschjoch und im Süden in’s Lagginjoch. Das Lagginjoch ist der „Pass“ zwischen den beiden 4000er Lagginhorn und dem Weissmies weiter südlich. Das Lagginhorn kann demnach von allen Seiten bestiegen werden. Interessant sind aber vor allem Südgrat und eben der fantastische Nordgrat. Und weil man den Nordgrat üblicherweise mit dem wundervollen Gipfel des Fletschhorns kombiniert, ist es zweifelsohne eine der schönsten, wenn nicht die schönste Tour in der Weissmiesgruppe.

Geologisch besteht die gesamte Weissmiesgruppe aus grob geschichteten und ziemlich alten plattigen kristallinen Schichten, abwechslungsweise mit Sedimenten des Karbons/Perms und der Trias. Die Gesteine weisen ein erhöhtes Alter auf, weswegen sie in eher instabiler Art zu Tage treten.

So standen wir bald unten am Fletschjoch, kauten ohne Hunger auf etwas Schokolade rum und sahen stumm zu, wie sich die italienische Seilschaft langsam das steile Eingangsfirnfeld hoch mühte. Wir steckten kurz die Köpfe zusammen. Beide hatten wir heute eine gute Tagesform erwischt, hatten noch gute Kraftreserven, hatten keinen Höhenkoller, die Wetterlage war stabil und es war erst 9.00 morgens – also genügend Zeit. Ausser dem Schnee auf dem Grat war an diesem Tage nichts, dass uns davon abhalten konnte, nicht in den Grat einzusteigen.

So verkürzten wir das Seil wieder und stiegen in’s steile Firnfeld ein, begannen die ersten Felsen in Abwechslung mit weiteren steilen Firnfeldern zu erklettern. Uns machte es richtig Spass. Grosse Freude kam auf an dem, was wir taten – ungestört, bei Sonnenschein, alleine unterwegs zu sein. Im unteren Abschnitt bewältigten wir die einfachen Kletterpassagen problemlos. Dies änderte sich aber mit zunehmender Höhe, denn der Grat wird ausgesetzter, der –  zum Glück – gut gefrorene Schnee immer kantiger und auch der Wind lies auf der Westseite immer wieder unserer Balance entgegenwirken. Einige Male steigt man ganz leicht in die Nordostwand und erklettert dann in gutem Fels wieder den Grat. Einige stellen konnten wir bis in den mittleren Abschnitt noch gut mit Bandschlingen absichern. Je höher wir aber gelangten, desto stärker war der Grat zugeschneit und desto weniger Absicherungsmöglichkeiten bestanden dadurch. Im oberen Abschnitt folgen mindestens zwei annähernd vertikale Felsabschnitte, teilweise mit Schnee und Eis durchzogen, die man direkt auf der Gratkante überklettern muss – ein Ausweichen auf Nordost- oder Westwand wäre ungemütlich. Dadurch, dass diese Passagen kaum abgesichert werden können, mussten wir vom kurzen Seil ins mittellange Seil wechseln und ich stieg jeweils vor.

Immer noch konzentriert und zunehmend gefordert erreichten wir etwa 40 Höhenmeter vor dem Gipfelfirnfeld die heikelste Passage. Im Vorstieg mit rund 20m Seil stieg ich zu den vorletzten Blöcken auf, in der Hoffnung, da einen Stand einrichten zu können. Der Aufstieg ist äusserst ausgesetzt, beinahe vertikal stieg ich in Firn mit vollem Pickeleinsatz hoch und fand einen Platz zum Sichern, was den Schlussaufstieg etwas entschärfte. Der Schnee war zu dieser Zeit schön grifig und hart. Danach folgt, kurz bevor man den Gipfelfirn wieder fast vertikal erklimmt die zweite III-er Stelle in aber gutem Fels. Aussicht auf den Grat von diesem Punkt:

Blick auf die zurückgelegte Kletterei auf dem Nordgrat des Lagginhorns. Klicke um das Bild in einem neuen Fenster zu vergrössern.

Blick auf die zurückgelegte Kletterei auf dem Nordgrat des Lagginhorns. Klicke um das Bild in einem neuen Fenster zu vergrössern.

Die letzten Felsen erkletterten wir nochals vorsichtig. Wir erreichten den Gipfel des Lagginhorns über den zuerst recht schräg abfallenden und damit ausgesetzten Gipfelfirn, danach leicht über Schnee und mittelgrosse Blöcke. Mit riesiger Freude über die bisherige Tour und den optimalen Verlauf konnten wir kurz innehalten und die Aussicht geniessen. Leider war es – des Windes wegen – wieder so kalt, dass wir uns aber bald für den Abstieg entschieden.

Das Gipfelfirnfeld nun in westliche Richtung auf der Normalroute im Abstieg war gut gespurt, der Abstieg bot uns im Ganzen keine Schwierigkeiten – ausser dass sich unsere müden Beine langsam bemerkbar machten. Nach dem Gipfelfirn erreichten wir bald den etwas mühsamen Blockgrat, der uns dann auf den Lagginhorngletscher und zurück über lose Steine und Fels zur Weissmieshütte führte. Zurück in der Hütte gönnten wir uns einen guten Kaffee und konnten den Nachmittag mit dem Erlebnis in den Erinnerungen so richtig geniessen!

Fazit
Die Überschreitung über einen sehr lohnenswerten fast-Viertausender – das Fletschhorn 3984.5 m ü.M. – ist auch ohne Lagginhorn 4010m ü.M. in jedem Fall eine sehr schöne Tour, wobei jedem Ersteiger eine ultimative Aussicht geboten wird. Das Lagginhorn und sein wunderbarer Nordgrat ist eine fabelhafte, nicht zu unterschätzende Tour, die auch von anderen Seilschaften unterschätzt wurde. Dies liegt wohl einerseits an der offiziellen Bewertung aus dem Walliser Hochtourenführer [Vom Trient zum Nufenenepass, Hermann Biner, 3. Auflage 2002] und andererseits aber auch – wie immer – an den Bedingungen. In jedem Fall dürfte die Tour uns in guter Erinnerung bleiben und ist wohl auch Anknüpfungspunkt für weitere ähnliche Grattouren.

 

Region: Oberwallis, Tour Datum: 18 August 2014, Schwierigkeit: ZS-/III (UIAA), Wegpunkte: Saas-Grund 1559 m, Weissmieshütten SAC 2726 m, Frühstücksplatz Grüebugletscher 3527 m, Fletschhorn 3985 m, Fletschjoch 3669 m, Lagginhorn 4010 m, Chrizbode 2397 m; Höhendifferenz: 1650 ↑  und 1650 ↓ (ausgehend von Weissmieshütten SAC). Unterkünfte: Weissmieshütte SAC, Hohsaashütte. Strecke: Weissmieshütte SAC – östliche Seitenmoräne Tälligletscher – Frühstücksplatz Pkt. 3527 – Grüebugletscher – Fletschhorn Nordwestgrat – Fletschhorn – Fletschjoch – Nordgrat Lagginhorn – Lagginhorn – Pkt 3539 Westgrat Lagginhorn – Lagginhorngletscher – Weissmieshütte SAC. Zufahrt zum Ausgangspunkt: Saas-Grund, Bergbahnen (Postautohaltstelle und Talstation Saas-Grund-Hohsaas (Ausstieg Trift, Kreuzboden 1h ↑ zur Weissmieshütte, Hohsaas 1h ↓ zur Weissmieshütte).Kartennummer: 1309 Simplon 1:25’000.

 

 

1 Kommentar

  1. ….wenn ich von nichts weiss, dann kann ich Euch auch das Leben nicht retten….:-):-) schöne Fotos! Bei uns gehts am 26.9 los, könnens kaum erwarten..:-):-) passt auf Euch auf. Liebe Grüsse aus Zürich! Silvan und Barbara

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